Vertriebsfreund Folge 9

vertriebsfreund01Value Selling

Walter war nun seit einem Jahr im Unternehmen. In dieser Zeit hatte er als Vertriebsleiter wichtige strukturelle Entscheidungen getroffen und frischen Wind in den leicht angestaubten Laden gebracht. Er war von seinem Team respektiert und geschätzt. Er fühlte sich endgültig angekommen und spürte, daß es jetzt an der Zeit sei, sich verstärkt der Weiterentwicklung der Vertriebsmannschaft zu widmen. Der erste Schritt war eine Bestandsaufnahme des Status Quo. Dazu musste er seinen Außendienst in Aktion sehen und er beschloss, seine Verkäufer bei ihren Kundenbesuchen zu begleiten.

Um eine zweite Meinung zu bekommen, engagierte er Ben, ebenfalls mit dem Vertrieb mitzufahren. Zwei Wochen später trafen sich Walter und Ben zu einem Mittagessen um Ihre Eindrücke zu teilen. Walter hatte bei seinem Außendienst besonders das hohe Engagement sowie die spürbare Identifikation mit dem Unternehmen beeindruckt. Er sah auch eine positive Entwicklung in der Kundenausschöpfung und erzählte Ben, dass in den meisten Gesprächen die Verkäufer explizit nach Potentialen gefragt hätten. „Alles in allem bin ich sehr zufrieden”, resümierte Walter und lehnte sich entspannt zurück: „Wie ist Dein Eindruck, Ben?” „Ich stimme Dir in Sachen Engagement und Commitment zur Firma zu. In der Potentialausschöpfung bin ich nicht so zufrieden wie Du, das wird immer noch nicht so konsequent gemacht, wie ich mir das vorstelle. Was mich besonders beschäftigt ist, dass sich unser Vertrieb verhält wie eine Bäckereiverkäuferin.” Walter sah Ben irritiert an. „Wie meinst Du das?” „Naja”, schmunzelte Ben, „in einer Bäckerei liegen Brot, Semmeln, Brezen und Gebäck in der Vitrine und die Verkäuferin fragt den Kunden freundlich, was er denn gerne davon hätte. Sie zeigt also ihre Produkte und lässt den Kunden auswählen. Genauso verkaufen wir auch.” Walter stutzte: „Ja, das mag schon sein, aber unsere Produkte sind ja auch gut. Und der Kunde will ja auch etwas sehen.” „Darf er ja auch, aber doch nicht gleich am Anfang. Unsere Verkäufer sind rein auf der Ebene Produktverkauf, sie zeigen dem Kunden unsere Ventile und fragen ihn dann, ob er die braucht und welchen Typ und wie viele. Unsere Produkte sind gut, aber wenn Du ehrlich bist, sind die Produkte unserer Wettbewerber genauso gut und können auch alles, was unsere Ventile können. Warum sprechen wir dann mit dem Kunden in erster Linie über Produkte, wenn wir darüber gar nicht entscheidend punkten können”, konterte Ben.

Walter dachte nach. „Du hast recht”, meinte er dann „und dann liegt wieder alles am Preis und wir geben unseren gesamten Deckungsbeitrag her. Genau aus diesem Teufelskreis wollen wir ja raus.” „Dann musst Du aber die Aufgabe beim Kunden neu definieren”, antwortete Ben „und Du musst vom reinen Produktverkauf weg zum Lösungsverkauf. Unser Vertrieb muss zum Berater des Kunden werden. Das bedeutet zunächst, dass er das Geschäft des Kunden, dessen relevante Erfolgsfaktoren und die Ziele seiner Kunden sehr gut kennen muss. Es geht darum, den Kunden und sein Geschäft und seine Erfolgsfaktoren in den Mittelpunkt zu stellen und ihm eine Lösung zu skizzieren. Wenn der Kunde die Lösung akzeptiert und für gut empfindet, kann man in einem nächsten Schritt passende Produkte vorstellen, mit denen man die gewünschte Lösung realisieren kann. Aber erst dann.” Walter nickte: „Was schlägst Du demnach vor, Ben?” „Wir müssen die Aufgabe beim Kunden neu definieren. Damit einher geht auch die Gesprächsführung und die Inhalte, wir müssen die gesamte Choreographie neu machen. Produktverkauf ist natürlich zunächst für den Vertrieb am einfachsten, bringt aber im Industriegüterverkauf meist den geringsten Erfolg. Hast Du Dich schon mal mit Value Selling beschäftigt?” Walter schüttelte den Kopf. „Gut, dann bekommst Du jetzt eine kurze Einführung”, grinste Ben. „Ein Wert ist eine Art subjektiver Nutzen, eine subjektive Singularität. Dieser wahrgenommene Wert ist von Person zu Person unterschiedlich. Beim Kunden kann man Produktwerte betriebswirtschaftliche Werte und persönliche Werte schaffen. Wenn Du Apple heißt und iPhones verkaufst, kannst Du alleine über das Produkt Werte beim Kunden schaffen. Dann macht es auch Sinn, im Verkaufsgespräch das Produkt in den Mittelpunkt zu rücken. In den meisten Fällen sind die Produkte aber sehr austauschbar und der Käufer hat die Wahl zwischen für ihn relativ ähnlichen Produkten. Warum sollte also ein Verkäufer dann über das Produkt reden, wenn er sich von seinen Wettbewerbern darüber gar nicht differenzieren kann? Ein Ansatz wäre, über betriebswirtschaftliche Werte nachzudenken, die er bei seinem Kunden schaffen kann. Geschwindigkeit, Lieferfähigkeit, Qualität, Garantien, Logistik, Aftersales, spezielle Services, Fachkompetenzen, weltweite Verfügbarkeit u.a. können im Einzelfall für den Kunden von großer Relevanz sein und seine Gesamtkostenbetrachtung (TCO) zu unseren Gunsten beeinflussen. Um das rauszufinden, muss ich aber meinen Kunden gut kennen. Genauso ist es mit den persönlichen Werten, die vermutlich letztendlich den größten Einfluss auf die Kaufentscheidung beim Kunden haben. Persönliche Werte können über die richtige Anwendung von Correll, DISG oder Limbic geschaffen werden. Dies schafft Vertrauen und Sympathie und der Kunde wird bewusst oder unterbewusst bei dem Verkäufer kaufen, der ihn in diesem Sinne am besten behandelt. Kaufentscheidungen fallen überwiegend unterbewusst und werden danach rational erklärt. Frag doch unsere Verkäufer einmal, weshalb die Kunden eigentlich heute wirklich bei uns kaufen. Vermutlich ist es unser Service, unsere Kompetenz und weil unser Verkauf auf Zack ist. Und vermutlich selten das Produkt an sich”, schloss Ben. „Wichtig ist die Verkäufer schon mal von diesem reinen Produktverkauf wegzubringen”, folgerte Walter. „Wir müssen Mitstreiter des Kunden werden, der mit ihm gemeinsam an der besten Lösung für ihn arbeitet. Produkte kommen später. So werden wir zu seinem vertrauten Partner, seinem Trusted Advisor.” „Ja”, ergänzte Ben „und vor allem verkaufen wir durch Lösungsverkauf unser gesamtes Portfolio und nicht nur Einzelkomponenten.”
>>(Fortsetzung folgt)